Bilder und Literatur von fremden Kontinenten wecken stets Fernweh und Forscherdrang. Mit meinem Münchner Freund Gerhard Lang vereinbarte ich eine Reise zum Kilimandscharo, der abseits der vielbegangenen Normalroute landschaftlich großartige Eindrücke bietet. Auf einem Höhenunterschied von etwa 5000 Metern kann man sämtliche Klimazonen der Erde, vom üppigen Regenurwald bis hinauf zum ewigen Eis kennenlernen. Meist wird der Kilimandscharo von Reisegruppen besucht, wir als Einzelreisende mußten mit mancherlei Problemen kämpfen, bevor wir den Nationalpark betreten konnten, es bedurfte langer Verhandlungen, ehe wir die Erlaubnis bekamen, ohne Führer und Träger den Gipfel zu besteigen: so waren wir unabhängig, aber auch ohne ortskundigen Führer, doch wir waren gewarnt, weniger die wilden Tiere des Urwalds, sondern das Verirren stellt die Hauptgefahr am Kilimandscharo dar.
Höhenanpassung im Regen
Abgesehen von kurzen Authellungen jeweils frühmorgens regnete es in den ersten Tagen schier ununterbrochen. Drunten im windstillen, weil dicht bewachsenen Bereich des tropischen Regenwaldes schützten uns unsere Schirme. Höher droben, in der Heidezone, entluden sich die Wolken mit solcher Gewalt, daft selbst das Weglein zum reißenden Wildbach wurde. Nach der ersten Nacht auf der Horombohütte klarte das Wetter auf und ermunterte uns zu einem Ausflug zum ’selten besuchten Neumann Tower (4385 Meter). Durch Heide- und Ginsterbüsche suchten wir uns unseren Weg, bereits am Gipfel des Kofferberges (3760 Meter) jedoch befanden wir uns in dichten Wolken und dicke Regentropfen durchnäßten uns in kurzer Zeit. Nur mit Karte und Kompaß fanden wir unseren Turm und bestiegen den höchsten Felsen der Marue-Spitzen (4165 Meter). Die Kletterei war nicht schwierig, jedoch durch das herabrauschende ‚Regenwasser und die flechtenüberzogenen Felsen etwas heikel. Als wir uns am Gipfelsteinmann die Hände schüttelten, lohnte der Blick hinüber zur Ostwand des Mawenzi, der „Eigernordwand“ des Kilimandscharo, all unsere Aufstiegsmühen, wie gotische Strebepfeiler wirkten die Gratrippen der gewaltigen Wand.
Die durchnäßten Kleider zwangen uns zu einem Rasttag. Trotz des Dauerregens ließen wir uns nicht von unserem Programm abbringen und gelangten am kommenden Tag über den Camel’s Back (4495 Meter) zur einsamen Tarnhütte (4315 Meter) am Mawenzi-See. In der Nacht klarte es erneut auf und wir konnten am Morgen vom Nordgrat des Weissman Peak hinabschauen in die riesigen ‚Barrancos (Schluchten) und wanderten im strahlenden Sonnenschein über die weite Hochfläche des Saddle (4310 Meter) zur Kibohütte (4700 Meter). Die dünne Luft machte uns nur wenig zu schaffen, augenscheinlich war die Höhenanpassung gelungen.
Bereits um ein Uhr morgens weckte uns der Hüttenwart Unsere Erregung verstärkte den Auftrieb noch, wollten wir heute doch höher hinaufsteigen als wir beide jemals gewesen waren. Es war eine helle Vollmondnacht und bereits nach etwas mehr als drei Stunden erreichten wir den Gillman’s Point (5715 Meter). Hier enden die meisten Besteigungsversuche, da nur die wenigsten Gipfelbewerber eine ausreichende Höhenakklimatisation vorweisen können. Unser Weiterweg in der Dunkelheit führte Ober den Bismarck Tower und den Stella Point, hier warteten wir auf den neuen Tag, der eiskalte Wind ließ uns zittern, das Thermometer zeigte minus zehn Grad. Ober dem dunklen Scherenschnitt der Zacken des Mawenzi-Grates entfaltete sich ein wunderbares Farbenspiel. Die Sonne durchstieß den Horizont und ließ die Gletscher rot erglühen, die Steppe 5000 Meter tiefer verharrte noch im Dunkel der Nacht. Flache Schneehänge brachten uns zum Hans Meyer Point (5880 Meter), der letzte Teil des nun fast waagrechten Aufstieges führte an einer gewaltigen Eiswand entlang. Andächtig setzten wir die letzten Schritte zu unserem Ziel, dem Uhuru Peak (5895 Meter). Wir genossen eine traumhafte Aussicht vom höchsten freistehenden Berg der Erde. Da unsere körperliche Verfassung ausgezeichnet war, setzten wir die am Gillman’s Point begonnene Kibo-Kraterumrundung fort. Vom markanten Felsgipfel des Askari (5760 Meter) bot sich uns ein beeindruckender Blick ‚in die gewaltigste Wand des Kilimandscharo, die Breach Wall, durch die Reinhold Messner einen extrem schwierigen Anstieg gelegt hatte. Über einen 45 Grad steilen Hängegletscher stiegen wir auf die Hochebene des Northern Icefield, dem größten Kibogletscher. Danach im beschneiten Lavagrund befanden wir uns ‚in einer Märchenwelt. Mächtige Eisberge umgaben uns, bizarre Türme und mit glasigen Zapfen verzierte Eiswände. Entlang der gigantischen Eistreppe des Stufengletschers gelangten wir über den Südosthang des Reuschkraters zurück zum Gillman’s Point, spät abends zwar, aber hochzufrieden.
Biwak am Western Breach
Die Anstrengungen und die herrlichen Eindrücke des letzten Tages am Kibo hatten unseren Auftrieb nicht geschmälert, uns lockten noch die einsamen Süd- und Westseiten des Berges. Mit 24 Kilogramm schweren Rucksäcken verließen wir die Kibohütte und querten hinüber zum Msoo-Valley. Das weit unter uns liegende, ruhende Nebelmeer kam nun in Bewegung und bald hüllten uns dichte Wolken ein. In der Hoffnung, bald wieder die Fernsicht genießen zu können, warteten wir, schließlich erkletterten wir die Gipfel einiger auf der Karte verzeichneter namenloser Felszacken. Auf einem fanden wir das Gerippe eines jungen Elefanten, und wir fragten uns, wie dieses Tier nur hier hinauf gekommen war, den felsigen Zackengrat nannten wir Elefanten-Grat. Erst am Spätnachmittag hob sich dann der Nebelvorhang. Schnell fiel die Dämmerung ein und wir biwakierten an einem Felsköpfl nahe dem Breach Wall.
Da der Urwald nur etwa drei Kilometer entfernt war, fürchteten wir uns etwas vor wilden Tieren. Mit meinem Feuerzeug glaubte ich, sie vertreiben zu können, Glaube macht Mut … In der Morgendämmerung schüttelten wir die Eiskristalle vom Biwaksack, traumhaft schön beleuchtete die aufgehende Sonne unseren Lagerplatz. Weit droben am Kibo züngelten gewaltige Hängegletscher über die Kanten dunkler Felsabbrüche, die tief drunten in riesigen Geröllhalden fußten. Wir folgten rotmarkierten Steinmännchen durch dichtes Gestrüpp zu einem großen Senecienwald, in dessen Nähe die Umbwe Bivouac Hütte (3965 m) steht. Am Nachmittag verschwand wiederum der dichte Wolkenvorhang und uns beeindruckten die Eishänge der beiden Penck-Gletscher und die gigantische Mauer des Breach Wall. Von diesem Panorama wird die reizvollste Route auf den Kilimandscharo, die Umbwe Route bestimmt Viel zu früh versank die Sonne und wir stiegen im Dunklen hinauf zu einem ebenen Fleck auf 5060 Meter, wo wir auf den Mond warteten. Sein Schein beleuchtete unseren Weiterweg, schweigend umstanden uns die Felstürme des Kibo, wãhrend wir mit den Zwölfzackern aufstiegen. Die totenähnliche Stille wurde nur zweimal unterbrochen, der Askari schickte neben uns eine Steinsalve krachend hinab ins Tal, ein zweites Mal, auf 5400 Meter Höhe gluckste ein Bächlein unter dem hartgefrorenen Schnee. Im Windschutz des Western Breach schließlich warteten wir auf das Ende der Nacht. Die ersten Sonnenstrahlen warfen den Schatten des Kilimandscharo fast 300 Kilometer hinaus in die Steppe.
In der dampfenden Vulkanschüssel
Ein klarer Himmel sah uns bei eisigem Sturm dem Gipfel des Reusch-Kraters (5835 Meter) zustreben. Ein überwältigender Blick über die Kraterlandschaft des Kilimandscharo fesselte uns. Der Vulkankessel, in dem in vorgeschichtlicher Zeit die Lava gekocht hatte, zog mich magisch an. Über Schnee und Lavaschutt erreichte ich den Rand der Ash Pit, von wo ich in das Kraterzentrum hineinschauen konnte. Die ebenmäßige Rundung, die im Verhältnis zum Durchmesser ungewöhnliche Tiefe und die waagrechte Gesteinsschichtung begründen der Ruf der Aschengrube als eine der bestausgebildetsten der Welt.
Feinkieselige Hänge brechen weiter unten zu senkrechten Felswänden ab, die sich im Kratergrund verlieren. Über lockeren Schutt gelangte ich bis knapp vor einen etwa 70 Meter hohen Abbruch. Jeder Schritt mit den Steigeisen brach Schollen aus dem steilen, vom Schmelzschnee festgebackenen Sand. Die vulkanische Tätigkeit des Kraters ist noch nicht erloschen, durch die lockeren Ascheschichten drunten im Krater steigen Schwefelgase zu mir empor, der anstrengende Gang und die dünne Luft zwangen mich zu heftigem Atem und ich sog den Gestank nach faulen Eiern widerwillig in die Lungen. Über losen Sand und Lavablöcke gelangte ich zum gefrorenen Spiegel eines Schmelzwassersees. Außer dem ersten Abstieg im Jahre 1953 durch Downie und Wilkinson sowie einer Wiederholung durch Firmin und Sampson im Jahre 1954 waren keine weiteren Abstiege in Erfahrung zu bringen, vermutlich war ich also der dritte, der die gigantischen Eindrücke dieser Kraterlandschaft sehen konnte. Zurück am Ausgangspunkt, traf ich wieder mit Gerhard Lang zusammen. An Gasaustrittslöchern, die von spitzigen, gelben Schwefelkristallen eingefaßt waren, wanderten wir aus dem ReuschKrater heraus. Die Nacht verbrachten wir auf der Horombo-Hütte und erreichten am nächsten Tag das Marangu-Hotel.
Weltrekord
Schon seit Jahren reizte mich das sportliche Problem, wieviele Höhenmeter an einem Kalendertag (24 Std.) zu schaffen sind. Im Jahre 1978 bestieg ich in Teneriffa den Teide (371+8 Meter) in 17 Stunden. Doch glaubte ich, daß auch mehr Höhenmeter zu schaffen wären. Aus den Karten konnte ich sehen, daß es am Kibo möglich ist, 5000 Höhenmeter zu überwinden, wozu der Marsch allerdings draußen in der Steppe beginnen muß. Ein Jeep brachte mich talwärts nach Himo (850 Meter), wo ich am B. Februar 1980 nachts um 0.20 Uhr aufbrach. Um 2.35 Uhr erreichte ich das Marangu-Hotel (1315 Meter), am Eingang zum Nationalpark mußte ich drei Stunden warten, um die Eintrittsgenehmigung zu erhalten. Die Stechmücken im feucht-heißen Urwald wurden zur Qual, um 10.50 Uhr gelangte ich zur Mandara-Hütte (2675 Meter). Die Sonne brannte auf die schattenlose Heidezone, dort traf ich auf eine japanische Filmexpedition, die die bevorstehende totale Sonnenfinsternis filmen wollte. Auf der Horombo-Hütte (3725 Meter), die ich um 14.25 Uhr erreichte, gönnte ich mir eine Kaffeepause. Ich folgte der Upper Route zur Kibo-Hütte auf 4700 Meter Höhe, wo ich um 18.45 Uhr ankam: Der Hüttenwart lieh mir eine Lampe und ohne jedes Gepäck ging es nun erfrischend kühl und endlich steiler mit spürbarem Höhengewinn weiter. Kurz unter dem Gillman’s Point gab ich Blinkzeichen zur Hütte:
„All’s okay.“ Kurz vor Mitternacht, um 23.55 Uhr stand ich am Ziel, auf dem Uhuru Peak auf 5895 Meter. Rasch verflog die Freude über den Erfolg, die Konzentration brach zusammen und schlagartig fühlte ich bleierne Müdigkeit. Ich mußte mich dazu zwingen, Nachzubleiben, würde ich in dieser Kälte einschlafen, hätte es verheerende Folgen. Plötzlich, am Gillman’s Point, sah ich „Leuchtkugeln“ am Himmel. Der von den vielen Begehern aufgewühlte Lavaschotter erschien mir als “Seilbahn-baustelle“, ich wollte ,entgegenkommende Leute“ warnen vor den Gefahren eines „Skibetriebes“, doch die „Personen“ lösten sich beim Näherkommen uf in Felsblöcke und Schneereste; alluzinationen als Folge von Schlafmangel, Anstrengung, Hunger und der ünnen Luft. Bei Tagesanbruch war der puk vorüber, heute noch ist es mir in Rätsel, wie ich in diesem Zustand 700 Höhenmeter in 4 Stunden absteigen konnte. Meine Blitzbesteigung hatte sich bereits herumgesprochen, überall auf den Hütten gratulierte man mir, bei der Mandara-Hütte traf ich Gerhard Lang, meinen Reisepartner, und gemeinsam wanderten wir zurück zum „Gate“ des Nationalparkes, wo wir mit dem Aufseher den Erfolg feierten.
Abschließend möchte ich allerdings davor warnen, ohne eingehende ärztliche Untersuchung und ohne ausreichende Höhenanpassung solch eine Kurzbesteigung wiederholen zu wollen (Aufstieg 5045 Meter auf 52 Kilometer in 23:35 Stunden und Abstieg 4055 Meter auf 35 Kilometer in 17:15 Stunden innerhalb von 60 Stunden ohne Schlaf). Auf diese Weise kann man keine Tage für Safaris einsparen.
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